Kultur

Na, na, na! Die Maid steigt über den Zaun – der Mönch schielt unverblümt auf den roten Schirm, den sie zusammengerollt in der rechten Hand trägt. Detail aus dem Gemälde "Sennerin und Mönch" von 1838. (Foto: MGS)

10.05.2024

Hintergründige Untiefen

Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt zeigt, was es mit dem Schirm in Carl Spitzwegs Bildern auf sich hat

Carl Spitzwegs Bilder gelten als freundlich-heitere Zeugnisse biedermeierlich genussvoller Romantik des 19. Jahrhunderts. Doch so banal, wie ihre Motive oft scheinen, sind sie nicht: Es lassen sich hintergründige Untiefen entdecken. Unter dem Gesichtspunkt Der rote Schirm – Liebe und Heirat bei Carl Spitzweg forscht das Schweinfurter Museum Georg Schäfer, im Besitz des weltweit größten Bestands an Werken des Malers, anhand von über 100 Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen und Druckgrafiken diesem Thema nach, auch mit Leihgaben aus prominenten Sammlungen. Ein ominöser roter Schirm taucht nämlich auf über 60 Spitzweg-Bildern aus den Jahren 1835 bis 1880 auf. Der Schirm wird mal geschlossen getragen, steht in einer Ecke oder ist in einer frühen Version (1837) des Armen Poeten in dessen Dachkammer aufgespannt zu sehen.

Kuratorin Andrea Fromm glaubt, dass Spitzweg im roten Schirm einen symbolischen Hinweis auf die Liebessehnsucht seiner Protagonist*innen und somit auf seine eigenen Wünsche versteckt. Denn der rote Schirm gehörte ursprünglich zur Ausstattung eines Hochzeitsladers.

Spitzweg liebte bildliche Anspielungen. Er hatte, nachdem er den erlernten Beruf des Apothekers aufgegeben hatte und dank seines Erbes finanziell unabhängig war, die freie künstlerische Laufbahn eingeschlagen und sich dabei eingehend mit der niederländischen Malerei und deren Metaphorik befasst. Er reicherte seine Schilderungen des kleinstädtischen Lebens oder die Szenen in der freien Natur gerne mit solch verdeckten symbolischen Hinweisen an.

Meist zeigt sich hinter seinem versöhnlichen Humor und der verborgenen Resignation über die Verhinderung einer erfüllten Liebesbeziehung auch eine gewisse Melancholie. Ihm selbst war keine dauerhaft geglückte Liebe, schon gar keine Ehe, vergönnt; seine erste Liebe starb zu früh und seine spätere Leidenschaft zu seiner Schwägerin blieb unerfüllt. Er blieb also Junggeselle, unternahm Reisen und Wanderungen, war aber kein Kind von Traurigkeit, sondern vergnügte sich bei zahlreichen erotischen Abenteuern und „Amürchen“ – und das meist bei Frauen aus der Unterschicht. Dienstmägde und Bauernmädchen gaben sich ungezwungener als die Damen der großbürgerlichen Gesellschaft, die ihm schon wegen ihrer konventionellen Moralvorstellungen suspekt waren. Er distanzierte sich auch vom Ideal der engelsgleichen Gestalt der Frau, schätzte vielmehr das natürliche weibliche Wesen.

Ältere Männer kamen in seinen Bildgeschichten nicht immer so gut weg, etwa wenn Der Witwer zwei jungen Mädchen beim Parkspaziergang nachschaut oder das alte Ehepaar sich ausruht, der Mann dabei zu schlafen scheint, oder der dicke Vater beim Sonntagsspaziergang etwas mühselig aber dennoch triumphal seiner Familie voranschreitet. Deutlich wird die Kritik am patriarchalen System, wenn ein Herr mit Zylinder ein junges Mädchen auf einem „verbotenen Weg“ ins Kornfeld führt – Spitzwegs Anspielung kann man sich leicht denken.

Er selbst verstand sich als freier, nicht verheirateter Künstler, schätzte aber immer auch weibliche Gesellschaft. Sein Schicksal blieb das des einsamen Mannes. Vielleicht deshalb findet man auf seinen Bildern oft einen Sonderling, etwa den Kaktusliebhaber, den Schreiber in seinem hohen Zimmer, den Gelehrten über seinen Büchern, der von einer Amsel besucht wird, skurrile Figuren wie den Mineralogen in der Grotte oder einen Schmetterlingsjäger – und immer wieder den roten Schirm als Hinweis auf verdeckte Sehnsüchte nach Liebe.

Sehnen nach Liebe

Im Gebirge oder auf dem Land sind es die Sennerinnen oder Bauernmädchen, welche die Sehnsucht eines Jägers oder Urlaubers erregen, und wofür eine junge Frau im Dirndl vor dem Marterl betet, kann man daraus schließen, dass der rote Schirm an einer Bank lehnt. Auch eine reisende Künstlertruppe führt bei einer Passkontrolle den roten Schirm mit, selbst bei der Kur oder beim Besuch von Jugendfreunden ist er dabei.

Besonders auffällig sind die Anzeichen für Sehnsucht nach einer Liebesbeziehung beim Ewigen Hochzeiter, wenn ein junger Mann seiner Angebeteten, einer Dienstmagd oder Wäscherin, schüchtern einen Blumenstrauß überreicht – die Statue im Hintergrund hält einen roten Schirm. Die Szene beobachten Neugierige an Fenstern und in der Gasse. Weitere Andeutungen der erotisierenden Spannung lassen sich entdecken: schnäbelnde Täubchen, ein Storch im Nest, ein sprudelnder Brunnen mit Herz.

Auch der lang erwartete Briefbote im Rosenthal mit diversen Botschaften für die weiblichen Adressaten in der Gasse zeigt, wonach sich alle sehnen.

Dass die Erfüllung solch sehnsüchtiger Wünsche allerdings bisweilen auch verhindert werden, belegt Der abgefangene Liebesbrief: Die bürgerliche Matrone mit dem Kreuz auf dem Busen wird die Nachricht, die ein Student für ihre Dienstmagd am offenen, rosenumrankten Fenster herablässt, sicher bald konfiszieren.

Ein Seitenhieb auf die „bessere Gesellschaft“ ist es sicher, wenn sich Frauen mit einem Kopfputz für einen Ball zurechtmachen, den eine Art Hörner zieren, und Herren einen Salon von angeblichen Putzmacherinnen aufsuchen – wohl ein getarntes Bordell. Auch mit der katholischen Kirche und ihrem Zölibat legt sich Spitzweg auf seinen Gemälden in subtiler Art an: Eine Sennerin übersteigt einen Zaun, hinter dem ein Mönch wohl auf sie wartet. Ein andermal empfängt ein Einsiedler in seiner Höhle ein Mädchen – der rote Schirm ist dabei. Dann wieder blickt ein Eremit, der zwei Hähnchen brät, ungeniert einem Mädchen nach.

All solche Motive zeigen, wie sich Spitzweg als Künstler von bürgerlichen Schranken befreit fühlte und dennoch stets die Liebesbeziehung als wichtiges Lebenselement ersehnte. Dies tat er teils mit verdecktem Spott, teils auch fast boshaft karikierend. So entpuppt sich bei ihm auch der Traum vom Liebesnest im Harem als europäisierte Phantasie. Die Natur aber bleibt für Spitzweg ein Raum der Poesie, der Freiheit und letztlich der Liebe. (Renate Freyeisen)

Abbildung: In einer frühen Version des Armen Poeten ist der Schrim noch rot. (Foto: Grohmann Museum)

Information: Bis 16. Juni. Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt. www.museumgeorgschaefer.de

 

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