Landtag

Ulrike Müller. (Foto: Freie Wähler)

03.05.2024

Die Doppelabgeordnete

Im Porträt: Die Freie-Wähler-Abgeordnete Ulrike Müller

Seit ihrem Einzug in den Landtag pendelt Ulrike Müller in hoher Frequenz zwischen Brüssel, Straßburg, München und ihrem Wohnort, der kleinen Gemeinde Missen-Wilhams im Landkreis Oberallgäu, hin und her. Die 61-Jährige ist Bayerns einzige Abgeordnete mit doppeltem Mandat. Seit 2014 sitzt die Politikerin der Freien Wähler nämlich auch im Europaparlament, das Mandat endet erst im Juli, nach der Europawahl. „Das ist eine Herausforderung“, sagt Müller. Sie wollte aber unbedingt ihre Arbeit zu Ende bringen. „Ich habe die Sitzungskalender übereinandergelegt und gesehen, dass das geht“, erklärt Müller.

Vor allem bei der CSU sah man das anders. „Wählerverhöhnung“ warf ihr der Europawahl-Spitzenkandidat Manfred Weber vor und forderte sie auf, mindestens eines ihrer Mandate zurückzugeben. Im Europaparlament ist sie agrarpolitische Sprecherin der liberal-zentristischen Fraktion Renew Europe, sie hat bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik etliche Inhalte mitverhandelt. Müller ist zudem Vizevorstandsvorsitzende der Europäischen Demokratischen Partei. Im Landtag ist sie auch nicht bloß einfache Abgeordnete. Kommissarisch leitet sie den Europaausschuss – dem AfD-Abgeordneten Martin Böhm hätte der Vorsitz zugestanden, er wurde – wie andere AfD-Leute – nicht gewählt. 

Viele Aufgaben also. Zu viele? Müller verneint. Die Miene der Politikerin, die ansonsten viel lächelt, verfinstert sich kurz, als sie auf die Vorwürfe der CSU wegen ihres Doppelmandats zu sprechen kommt. „Das fand ich unmöglich. Ich weiß sehr wohl, was parlamentarische Arbeit bedeutet.“ Die Doppelbelastung sei ja nur auf absehbare Zeit gewesen. Ende April fanden die letzten Sitzungstage der Legislatur auf EU-Ebene statt. Durch ihr Doppelmandat seien sogar Steuergelder gespart worden, sagt Müller. Denn die 9215 Euro Landtagsdiäten stehen ihr laut Bayerischem Abgeordnetengesetz nicht zu, weil sie ja schon Diäten aus Brüssel bezieht – knapp 10 000 Euro. 

Besonders geärgert hat sie die Kritik, die sich an zwei verpassten Sitzungen des Europaausschusses entzündete. Die Politikerin verweist auf einen einstimmigen Beschluss des Gremiums, ihr das zuzugestehen – und dass es dabei gar nicht um ihr Europamandat gegangen sei. „Mein Mann hatte mir zum Sechzigsten einen Urlaub geschenkt, der vor anderthalb Jahren gebucht wurde.“ Also bevor klar war, dass sie für den Landtag kandidieren würde. Das Geschenk wollte sie nicht verfallen lassen. Freilich ist es zumindest ungewöhnlich, wegen eines Urlaubs Sitzungen, die man hätte leiten sollen, zu verpassen.

Eine Freie Wählerin sei sie schon immer gewesen, sagt Müller, die als junge Frau eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin absolvierte und einen Landwirt heiratete. Nach einigen Jahren als Gemeinderätin und Kreisbäuerin kam die Anfrage, ob sie nicht für den Landtag kandidieren wolle. Müller sagte zu – und wurde 2008 in den Landtag gewählt. Vor der Europawahl 2014 kam erneut eine Anfrage: Ob sie mit ihrem agrarpolitischen Wissen nicht für Europa antreten wolle? Müller wollte. Für den Wahlkampf zog sie zusammen mit ihren Eltern in einem Wohnmobil durch Deutschland – und holte genug Stimmen zum Einzug ins Parlament. 2019 folgte die Wiederwahl.

Nach zehn Jahren Europaparlament wollte sie dann in diesem Jahr in den Ruhestand gehen. Doch dann bat man sie, ihr dort erworbenes Wissen im Landtag einzubringen. Sie willigte ein. „Fünf Jahre, dann ist aber gut“, sagt die Oberallgäuerin bestimmt.
Was sind die größten Unterschiede zwischen Landtag und Europaparlament? „Regierung und Opposition – das gibt’s im EU-Parlament nicht. Da arbeitet man parteiübergreifend zusammen und sucht immer neu nach Mehrheiten“, sagt Müller. Am Koalitionspartner der Freien Wähler, der CSU, lässt Müller kein gutes Haar: „Das Überhebliche dieser Partei ist gewöhnungsbedürftig.“ Das zeigt sich aus ihrer Sicht auch bei der schwierigen Zusammenarbeit mit einigen Ministerien. „Das ist mit der EU-Kommission schon ein bisschen leichter“, sagt sie. „In Brüssel hat von der CSU auch niemand was beim Thema Agrar zu sagen.“

Während der Koalitionsverhandlungen von CSU und Freien Wählern wurde Müller als mögliche Agrarministerin gehandelt. Doch die CSU wollte das Ministerium nicht hergeben. „Ich trauere dem nicht nach“, sagt Müller. „Auch wenn ich es mir zugetraut hätte.“ 

Auf Aiwanger lässt sie nichts kommen

Auf ihren Chef Hubert Aiwanger lässt Müller grundsätzlich nichts kommen. „Der Aiwanger ist der Aiwanger. Er ist unser Aushängeschild.“ Auf die hohe Frequenz seiner Bauerndemo-Teilnahmen angesprochen, sagt sie aber, dass sich alle Politiker*innen fragen müssten, ob es ihre Aufgabe ist, bei Demonstrationen mitzulaufen – oder doch eher Lösungen für drängende Probleme zu suchen.

Für Müller ist klar: „Der Klimawandel findet statt, wir müssen was tun.“ Aus ihrer Sicht soll das aber nicht über Verbote geschehen, sondern mit Technologien. Die Abgeordnete nennt Biogasanlagen, die praktisch ohne Kohlendioxidausstoß laufen. Elektroschrott, der mithilfe von Mikroben recycelt wird. Nachhaltig hergestellten Zement. Auch die Landwirtschaft könne nachhaltig und innovativ produzieren. Doch all diese Innovationen brauchen auch Zugang zu finanziellen Mitteln. Im Grunde müsste in jedem Landratsamt eine Person abgestellt werden, die sich mit dem Förderdschungel auskennt und die Menschen berät, findet sie.

Viel Freizeit hatte Müller zuletzt nicht. Bis Dezember molk sie noch selbst die Kühe zu Hause. Seitdem übernimmt ein Melkroboter die Aufgabe. Der Hof – 90 Kühe und rund 70 Jungtiere – ist längst an den Sohn übergeben, aber die Eltern helfen noch mit. „Das erdet“, sagt Müller. Genauso wie das Aufpassen auf die mittlerweile vier Kinder ihrer Tochter und ihres Sohnes.

Sie freut sich schon auf Pfingsten. Da plant die Familie, mit vier Generationen – Müllers Eltern leben auch noch – nach Venedig zu reisen. Wenn ihr Mandat im Landtag endet, hat sie sich weitere Reisen vorgenommen, nach Lappland, zum Donaudelta und nach Großbritannien. „Ich brauche keinen Luxus. Ich will frei und unabhängig sein.“ (Thorsten Stark)

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