Wirtschaft

In vielen Bereichen wird nur Mindestlohn gezahlt. (Foto: dpa/Jan Woitas)

03.05.2024

Respekt für den Wert der Arbeit

Die Erhöhung des Mindestlohns ist eine der wenigen wirtschaftspolitischen Erfolgsgeschichten der Bundesregierung

Der Mindestlohn hat sich bewährt, um Armut effektiv zu bekämpfen. Während Normalverdiener wegen der Corona-Folgen und dem Energiepreisschock zuletzt weniger im Geldbeutel hatten als noch vor einigen Jahren, konnten sich Niedriglöhner über ein sattes Gehaltsplus freuen.

Kaum eine wirtschaftspolitische Entscheidung war so umstritten wie die Einführung des Mindestlohns. Doch fast ein Jahrzehnt später ist klar, dass die Lohnuntergrenze zumindest aus Sicht der Betroffenen eine Erfolgsgeschichte ist. Dies zeigt ein Blick in die Statistiken. Denn während viele Normalverdienende zuletzt de facto weniger Geld in der Tasche hatten, weil die Lohnzuwächse nicht ausreichten, um die Inflation auszugleichen, verzeichneten die die Beschäftigten im Niedriglohnsektor trotz Corona-Krise und Energiepreisschock ein ordentliches Kaufkraftplus.

Der gesetzliche Mindestlohn stieg dem zur Bundesagentur für Arbeit gehörenden Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge zwischen Januar 2015 und September 2023 um 41,2 Prozent. Der Tariflöhne legten im gleichen Zeitraum den Angaben zufolge dagegen nur um 21,7 Prozent zu – also lediglich um etwas mehr als die Hälfte. Um die Inflation bereinigt, sanken die Tariflöhne in diesem Zeitraum 3,8 Prozent unter das Niveau von 2015. Wer dagegen in vergangenen Jahren exakt den Mindestlohn verdiente, dessen Gehalt stieg unter Einberechnung der Inflation laut IAB im gleichen Zeitraum immerhin um 11,6 Prozent.

Weniger im Geldbeutel

Die Ursachen, warum die meisten Beschäftigten mittlerweile weniger im Geldbeutel haben als noch Mitte des vergangenen Jahrzehnts, sind die Folgen der Corona-Pandemie und der Energiepreisschock nach Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Natürlich waren auch Niedriglöhner von den dadurch verursachten Preisexplosionen betroffen – doch die rot-grün-gelbe Bundesregierung wollte mit kräftigen Lohnerhöhungen bei Geringverdienern gezielt den ärmeren Bevölkerungsschichten unter die Arme greifen.

Nachdem die Sozialdemokraten nach zähem Ringen 2015 den Mindestlohn von damals 8,50 Euro innerhalb der zu jener Zeit noch regierenden Großen Koalition gegen CDU und CSU durchgesetzt hatten, stieg dieser in den folgenden Jahren erst einmal eher gemächlich – schließlich waren auch die Inflationsraten und Tarifabschlüsse eher überschaubar. Zum 31. Dezember 2021 lag die Lohnuntergrenze deshalb noch bei 9,60 Euro. Doch dann machte sie einen kräftigen Sprung. Der Gesetzgeber erhöhte den Mindestlohn in drei Schritten auf 12 Euro ab dem 1. Oktober 2022 – ein Plus von 25 Prozent.

Keine großen Sprünge

Fast zweieinhalb Millionen Menschen wurde zum Stichtag 1. April 2023 der Mindestlohn in dieser Höhe bezahlt. Zu Beginn dieses Jahres stieg der Mindestlohn dann erneut an: auf 12,41 Euro brutto je Stunde. Das monatliche Mindestgehalt liegt damit vor Abzug der Sozialabgaben bei rund 2151 Euro. Damit lassen sich zwar auch keine großen Sprünge machen – doch ohne Mindestlohn wären wohl noch weit mehr Menschen, die Vollzeit arbeiten, gezwungen, beim Jobcenter aufzustocken, um über die Runden zu kommen.

Insbesondere in der Union stießen die letzten Mindestlohnerhöhungen jedoch teils auf harsche Kritik. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte damals: „Ich hielte es für besser, wenn der Mindestlohn von den Tarifparteien bestimmt würde.“ Auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hatte den höheren Mindestlohn als „Schwächung der Sozialpartnerschaft“ angeprangert. Denn die Bundesregierung hatte die Erhöhung des Mindestlohns um 14,8 Prozent zum 1. Oktober 2022 ohne Einbeziehung der Mindestlohnkommission durchgesetzt – diese besteht aus Vertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften.

Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Michael Schrodi feiert die damalige Entscheidung dagegen heute: „Mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro haben wir 2022 ein zentrales Wahlversprechen umgesetzt“, sagt er der BSZ und fügt hinzu: „Für fast eine Million Menschen in Bayern war es eine Gehaltserhöhung, und mit 22 Prozent die vermutlich größte ihres Lebens.“ Der Fürstenfeldbrucker Abgeordnete findet: „Ein fairer Lohn heißt Respekt für den Wert der Arbeit.“

Signalwirkung

Klar ist: Auch Geringverdienende, deren Stundenlohn über der Lohnuntergrenze liegt, profitierten vom Mindestlohn, da dessen Höhe auch eine Signalwirkung hat. Insbesondere die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro habe auch die Tarifentwicklung in einigen Niedriglohnbranchen beschleunigt, sagt Malte Lübker, Leiter des Referats Tarif- und Einkommensanalysen beim gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der BSZ.

Auch Löhne, die nur etwas über der gesetzlichen Untergrenze liegen, stiegen in den vergangenen Jahren oft prozentual überdurchschnittlich. Dem Statistischen Bundesamt zufolge arbeiteten im April 2023 hierzulande 16 Prozent, also knapp jeder sechste abhängig Beschäftigte, im Niedriglohnsektor. Rund 6,4 Millionen Erwerbstätige arbeiteten demnach in Beschäftigungsverhältnissen unterhalb der Niedriglohnschwelle. Diese lag im April des vergangenen Jahres bei 13,04 Euro. Zum Vergleich: Im April 2022 arbeitete mit 19 Prozent noch knapp jeder fünfte Beschäftigte im Niedriglohnsektor – zwischen 2013 und 2017 hatte diese Quote sogar stets noch bei 23 Prozent gelegen.

Lohnuntergrenze zu niedrig

Beim Deutschen Gewerkschaftsbund heißt es, der Mindestlohn habe sich „rückblickend als Erfolgsgeschichte erwiesen“. Kathrin Flach Gomez, Landessprecherin der Linken, hält die Lohnuntergrenze derweil für zu niedrig: „Gerade im mietentechnisch teuren Bayern, aber natürlich nicht nur hier, fordern wir von der Linken dringend eine Anhebung des Mindestlohns auf wenigstens 14 Euro“, sagt sie der BSZ. Es sei „unglaublich, dass der Arbeitslohn im reichen Bayern nicht zu einem menschenwürdigen Leben reicht“.

Niedriglöhne werden vor allem im Gastgewerbe, der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung bezahlt. Um Lohndumping entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber in zahlreichen Bereichen branchenspezifische Mindestlöhne eingeführt – so etwa in der Pflege oder in der Gebäudereinigung –, teils liegen diese deutlich über dem allgemeinen Mindestlohn von 12,41 Euro.
(Tobias Lill)

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